Tagesarchiv für den 10. Februar 2009

Sterben im Hospiz

Dienstag, den 10. Februar 2009

Eben ist hier eine Frau gestorben. Ihre Mutter sprach mich an, als ich in der Lounge saß und rauchte. „Meine Tochter kann nicht sterben“, sagte sie, und war so verzweifelt darüber. Wir kamen dann ins Gespräch.

Die Tochter, aufgrund ihrer Krankheit und der Behandlung körperlich extrem gezeichnet und deshalb für mich gar nicht einzuschätzen, wie alt sie war, ist vor etwa 10 Tagen hier angekommen, nach einer Odyssee durch Kliniken, Diagnosen und Behandlungen, gegen die meine kleine Geschichte wie ein harmloser Rollschuhunfall klingt. Vorgestern noch hatte ich versucht, mit ihr ein bisschen zu plaudern, aber ihre kraftlose Stimme und mein Tinnitus hatten das verhindert.

Aber heute zeichnete sich ab, dass es zuende ging. Der Tod der Frau war nicht belastend für mich – aber wie extrem verzweifelt die Mutter darüber war, dass ihre Tochter einfach nicht sterben konnte und sich weiter und sinnlos aufbäumte … hat mich wirklich weinen lassen, mich berührt. Das ganze Haus war in Bewegung; Schwestern und Doc ständig in ihrem Zimmer, sich um die Sterbende und die Zurückbleibenden kümmernd. Die Mutter und ihre zweite Tochter kamen immer wieder zu Pe, Mike und mir an den Tisch, von der Leidensgeschichte der Kranken erzählend. Voller Trauer, aber auch voller Dankbarkeit, dass sie zuletzt noch erleben durften, wie sie aus dem funktionalen Klinikalltag in dieses Hospiz kam und hier, wie die Mutter immer wieder dankbar und wie ein Mantra betonte, menschlich behandelt wurde. Würde bekam.

Mehr mag ich nicht erzählen, das wäre pietätlos. Außer: Irgendwann setzt sich die Mutter erleichtert an den Tisch und sagte: „Sie hat es geschafft“. Und sie war ruhiger.

Ich bin dann noch viel zu lange sitzengeblieben, habe mit den Dreien gesprochen und dachte schließlich, was ich eigentlich in dieser intimen Situation verloren habe – und verzog mich. Allerdings bekam ich dann später gesagt, dass es wohl okay war, dass ich nicht gestört habe – im Gegenteil. Trotzdem bleibt da ein schales Gefühl deswegen …

Los, lassen!

Dienstag, den 10. Februar 2009

Zum Loslassen gehört(e) für mich auch die Beschäftigung mit der eigenen Beerdigung. Und die sieht so aus, dass Pe alles bestimmen wird. Mich interessierts dann eh nicht mehr.

Meine einzige Bedingung war und ist, dass mich dieses religiöse Katholenvolk nicht noch am Ende in seine Rituale einbeziehen kann – keine Pfarrer oder Pastoren oder wie die heißen mögen. Darum kümmert Pe sich, und den Rest macht sie so, wie sie das braucht. Ich meine: Wieso zur Hölle sollte mich interessieren, was auf meinem Grabstein steht? Welche Blumen ins Grab geworfen werden? Das abzugeben erleichtert, spart mir wichtige Lebenszeit, die ich dann lieber damit verbringe, mir mit Pe Fiesheiten für Tante M. auszudenken 😀

Nicht nur gut

Dienstag, den 10. Februar 2009

Es soll bitte niemand glauben, ich wäre jetzt ein Ausbund an Abgeklärtheit und Ruhe und Weisheit und so.

Ich lebe in einer Grenzsituation. Bin nach wie vor gerne lebendig und verhalte mich deshalb mitunter seltsam (wie ich dachte). Je nachdem neige ich zur leichten Cholerik, Ungerechtigkeit, Sturheit (Erbe meines Papas), von Mama hab ich wohl den Hang zu schütterem Haar und Lungenkrebs. Damit muss meine Familie auch umgehen können, und bislang machen sie das fantastisch. Sie lassen das zu, ohne das zu sehr oder zu wenig zu beachten. Wie Uli und Jost unabhängig voneinander meinten: Ich hab mich da nicht sehr verändert. Wie beruhigend. Der Punkt ist, dass ich das auch für mich zulassen muss. Ich sehe aus wie ein verdammter Buddha, aber ich lebe, habe Gefühle. Die müssen gelebt werden. Anders geht’s nicht.

Wieso?

Dienstag, den 10. Februar 2009

Manche Fragen sollte man nicht stellen. Zum Beispiel kann ich mir vorstellen, dass Gaius Julius Cäsar (100-44 v. Chr.), römischer Feldherr, Staatsmann und Schriftsteller) heute noch leben könnte, hätte er seine(n) Brut(us) morgens nicht gefragt, wie das wohl wäre, wenn Papa den Sohnemann nicht mit Senatsrechten verwöhnt. So aber: Mittags auf der Treppe das alte Kürbismesser bis zum Solarplexus im Körper und hintendran Brutus. Falsche Frage, sage ich mal.

Ähnlich ist das in meiner Situation jetzt. Seit Tagen gehts mir gut und besser. Die Lähmung meines rechten Beins ist fast weg, meine Schmerzen sind fast weg, ich „sehe besser aus“, bin gut gelaunt … Soll ich fragen, wieso das so ist? Wozu? Das ist so. Das genieße ich. Das kann morgen vorbei sein, nach wie vor. Soll ich mir das Essen mit Grüblereien verderben?

Vielleicht ist das einer der Mechanismen, mit dem eigenen bevorstehenden Tod zurechtzukommen: Annehmen, nicht fragen. Bei mir funktioniert’s.

Rita

Dienstag, den 10. Februar 2009

Heute Morgen – eben – habe ich Rita kennen gelernt. Nach Zigarette #2 sah ich im linken Augenwinkel etwas Lockiges auf dem Boden, das zu mir hochguckte. Prima, dachte ich, was für ’ne fiese Nummer meiner Metastasen am Morgen. Normalerweise sehe ich links nur meine Mama, meinen Papa oder anonym vorbeihetzende Personen aus meinem Unterbewußtsein.

Dauerte bisschen, bis ich merkte: Der Hund da unten ist echt. Rita, „Wachhund“ der Nachtschicht Heinz Willi. Wie man das so lernt, hielt ich ihr (Rita) eine Hand hin, damit sie einverstanden sein konnte, von mir gestreichelt zu werden, aber Rita machte nicht den Eindruck, als wäre das ein erklärtes, zu erreichendes Lebensziel für sie.

Vielleicht morgen. Jedenfalls: Guten Morgen, Welt 🙂

I. Ankunft

Dienstag, den 10. Februar 2009

Es kann sein, dass ich hier Zeiten durcheinanderbringe. Dann korrigiert mich bitte in den Kommentaren, Familie.

Familie

Ich schätze, ich sollte den Begriff Familie mal definieren: Das sind diejenigen, die in der letzten Zeit vor allem persönlich, also aus meinem direkten Umfeld, da waren und sind: Pe, Pe und nochmal meine kleine geliebte Schwester; Uli (und auch Maria); Schnuppsi, Rainer, Ilka, Gabi, Elke, meine vermisste DRK-Ria, Jost, Bianca, Lars, Mike, Bettina, Tina.

Natürlich ihr aus meiner virtuellen Welt und von weiter weg (ich hab dich lieb, Sonne). Hab ich jemand nicht erwähnt? Mein Hirn ist manchmal ein Sieb, wo an den unmöglichsten Stellen Lücken sind.

Als ich hier vor drei Wochen aus dem Krankentransport im Rollstuhl vor die Tür gefahren wurde, habe ich erst mal geheult. Sagte Pe, dass das jetzt das Haus sein würde, in dem ich sterbe.

In der Heliosklinik hatte ich immer mehr abgebaut, körperlich und geistig, seit ich wusste, dass da „medizinisch“ nichts mehr zu machen sei. Ich konnte n icht allein aufs Klo, nicht wirklich aus dem Rollstuhl, musste mir bei allem helfen lassen, und wurde – denke ich – da aber auch nicht richtig versorgt.

Und jetzt war ich hier, mit dem „never come back“-Stempel versehen. Ich gab mir eine Woche, zehn Tage vielleicht, bis ich sterben würde. Dann passierten ein paar Dinge. Der Doc sprach mit mir, erklärte mir, was man hier tut, dass und wie ich sterben würde. Versprach mir, dass ich nicht krepieren, nicht ersticken würde und nahm mir damit auf einmal zwei große, die größten Ängste. Meine Schmerztherapie begann. Wann immer ich brauchte, wollte – ich bekam Schmerzmittel, die wirkten. Seit Monaten war ich endlich über längere Zeit schmerzfrei.

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